Umgang mit Ängsten

Selbstreflexion

Funktion von Angst

Wer ist wie betroffen?

Verunsicherung

Wer ist in Schule betroffen? Wie?

So äußern sich Ängste und Verunsicherung

Gute Verhaltensweisen, um Ängsten zu begegnen

Weiterführende Hilfen

Exkurs: Ist Corona eine schulische Krise?


Vorbemerkung: Schulpsychologinnen und Schulpsychologen sind in Ihrer Berufsrolle keine Psychologischen Psychotherapeuten (auch wenn einzelen Kolleginnen oder Kollegen diese Qualifikation besitzen). Die Hinweise in diesem Text haben beratenden und präventiven Charakter. Sollten Sie oder jemand aus Ihrem Umfeld psychotherapeutische Unterstützung benötigen, kann Ihnen der Psychotherapieinformationsdienst bei der Suche nach einer geeigeneten Therapie weiterhelfen.

Selbstreflexion

Stellen Sie sich einmal folgende Fragen:

  • Was würde mit Ihnen passieren, wenn Sie an Corona erkranken würden?
  • Wen beträfe das alles außer Ihnen noch?
  • Was würde mit Ihrem direkten Umfeld passieren?
  • Könnten Sie selbst lebensbedrohlich erkranken? Würden Sie jemand anderen lebensbedrohlich anstecken?

 

Solche und ähnliche Fragen stellen sich nahezu alle Menschen derzeit. Hinzu kommt, dass sämtliche Informationskanäle derzeit bis an den Rand gefüllt sind mit Informationen zum Thema Corona. Man kann dem Thema nicht entkommen. Viele Informationen sind zudem widersprüchlich.

Das alles führt dazu, dass  sich Menschen über das normale Maß mit einen bedrohlichen Thema beschäftigen, sich dadurch ängstigen und sich in der Folge sehr belastet fühlen.

 
Funktion von Angst

Grundsätzlich ist Angst eine evolutionär erfolgreiche Strategie: Wenn Lebewesen vor Gefahren keine Angst hätten, würden sie schneller sterben und könnten sich nicht fortpflanzen.  Vermutlich gibt es jedoch aber kein Lebewesen, welches durch „irrationale“ Emotionen mehr beeinflusst wird als der Mensch: Wir entwickeln Ängste vor Dingen, die keine direkte Gefahr mehr für uns darstellen (z.B. Spinnen etc.).

 Ein dritter Aspekt ist gegenläufig zu den zuvor genannten: Lebewesen gewöhnen sich auch an Bedrohungen: Sieht man sich dauerhaft mit angstauslösenden Reizen konfrontiert, stumpft man ab. Dies führt zu einer Geringschätzung des Problems.

 In diesem Spannungsfeld – also der gesunderhaltenden Funktion von Ängsten einerseits, einer (möglicherweise) übertriebenen Reaktion durch die oben genannte „Informationsblase“  und die andauernde Beschäftigung mit dem Thema  andererseits und der Gewöhnung an das Problem - ist es hilfreich, sich mit diesen Ängsten auseinanderzusetzen.

 

Wer ist wie betroffen?

Alle zuvor genannten Ausprägungsgrade sind in der Gesellschaft und damit auch bei Schulangehörigen vorhanden:

  • Solche, die sich ernsthafte und gerechtfertigte Sorgen um ihr Leben machen, weil sie ggf. zu einer sog. „vulnerablen Gruppe“ gehören,
  • Solche, die übertrieben ängstlich sind, weil sie sich von den ihnen zur Verfügung stehenden Informationen stark beeinflussen lassen,
  • Solche, die die Problematik geringschätzen und auch ggf. keine Perspektivenübernahme für Menschen haben, die in die zuvor genannten Kategorien fallen. Durch ihr Verhalten verunsichern sie die Mitmenschen ggf. noch mehr.

  

Verunsicherung

Die Folge des zuvor Genannten ist eine teilweise extreme Verunsicherung in allen Teilen der Bevölkerung. Verstärkt wird diese durch

  • eine unübersichtliche Informationslage 
  • die Wahrnehmung der teilweise drastischen Maßnahmen, die zur Eindämmung ergriffen werden (sowie die Tatsache, dass in verschiedenen Ländern teilweise sehr unterschiedliche Maßnahmen ergriffen werden)
  • mögliche Existenzängste aus Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung,
  • Sorgen um das Funktionieren im Alltag und mögliche Doppel- bis Dreifachbelastungen (werde ich den Anforderungen gerecht, die an mich gestellt sind?).

  

Wer ist in Schule betroffen? Wie?

Grundsätzlich sind von Ängsten und Verunsicherung alle Schulangehörigen ähnlich betroffen, dies zeigt sich jedoch auf verschiedene Weisen.

 

  • Schüler*innen: existenzielle Sorgen stehen hier weniger im Vordergrund (was nicht heißt, dass sie nicht vorhanden sind). Zudem sind die Ängste altersabhängig. Bei jüngeren Kindern geht es eher um das Thema „Wann kann ich meine Freunde wieder treffen?“. Einzelne können sehr stark betroffen sein, hier können sich Fragen gestellt werden wie „werden meine Eltern oder Großeltern sterben? Was passiert mit meinen Verwandten im Ausland?“. Vor allem die Rezeption von ungefilterten Nachrichten tragen hier zur Verunsicherung und Entstehung von Ängsten bei.
  • Ältere Schüler*innen werden sich eher mit Prüfungen, Schulleistungen und Sorgen um die eigene Zukunft beschäftigen. Zudem wird eine erste Freude über den Ausfall der Schulen abgelöst werden durch Probleme, die sich aus mangelnder Alltagsstruktur und Ablenkung ergeben sowie sich aus daraus ergebenden möglichen häuslichen Schwierigkeiten. Eine Frage, die alle Gruppen einen wird, ist die nach „wie kommen wir wieder in die Schule und was passiert dann? Sind meine Freunde noch meine Freunde? Ist in der Zwischenzeit etwas passiert, vor dem ich Angst haben muss?
  • Eltern: Aufgrund der Schließung vieler Unternehmen, dem plötzlichen Zwang zum ungewohnte Homeoffice etc. kam auf viele Eltern eine besondere häusliche Situation zu: Kinderbetreuung, gleichzeitiges Arbeiten, Sorgen um die eigene Gesundheit und die von Angehörigen (z.B. eigenen Eltern, solche, die ggf. im Ausland leben) und die Verantwortung für das Lernen ihrer Kinder. Das heißt, auch Eltern sind besonders betroffen und verunsichert. Gerade die neue Verantwortlichkeit für schulisches Lernen wird als ziemliche Belastung erlebt. So kommen zu den Gesundheitssorgen, den wirtschaftlichen Sorgen (bis hin zu Existenzängsten um den eigenen Job) noch die um den Kontext Schule hinzu.
  • Lehrerkräfte/weiteres schulisches Personal: Neben Sorgen aus dem eher privaten Bereich stehen bei Lehrkräften vor allem die Doppelbelastungen aus einer deutlich geänderten Verantwortung gegenüber ihren Schüler*innen, aber auch aus Herausforderungen, die sich durch die Andersartigkeit des Unterrichtens in der Zeit der geschlossenen Schule ergeben. Viele fragen sich, wie sie dieser Anforderung gerecht werden können, zumal sie oft in der Doppelrolle Eltern einerseits, Lehrkraft andererseits sind. Für die Zukunft verunsichern schulorganisatorische Maßnahmen und Fragen („wann darf/muss ich die erste Arbeit schreiben? Wie kann ich dem Stoff gerecht werden? ...). Auch hier wirken die Dynamik und die teilweise Unvorhersehbarkeit von Entwicklungen verstärkend.

 

 

So äußern sich Ängste und Verunsicherung

In der Regel äußern Betroffene ihre Ängste nicht direkt, sondern zeigen sie uns über ihr Verhalten. Ängste und Verunsicherung können sich - wie alle Emotionen – in nahezu der gesamten Bandbreite des menschlichen Verhaltens zeigen. So sind es eher von außen sichtbare Dinge wie Gereiztheit, sichtbare Traurigkeit, bis hin zu teilweise aggressivem Verhalten, andererseits eher unsichtbare Dinge wie Rückzug, Stille, psychosomatische Symptome (Zittern, Schlaflosigkeit, Magen-Darm-Schwierigkeiten), aber auch Mobbing. Im Bereich der Schüler*innen wird vor allem das Thema „Fernbleiben von der Schule – Schulabsentismus“ ein wichtiger Aspekt sein.

Menschen, die Rückzugstendenzen haben, zeigen teilweise auch extreme Erschöpfung, da sie es viel Anstrengung kostet, die Angst nicht zu zeigen.

 

Abbildung: Mögliche Reaktionen auf starke Verunsicherung/Ängste

 

Gute Verhaltensweisen, um Ängsten zu begegnen

Die folgenden Verhaltensweisen sind gute Strategien, um den Ängsten von Menschen zu begegnen.

  • Verständnis zeigen: Die wichtigste Ressource, die wir belasteten Menschen gegenüber bringen können, ist die Perspektivenübernahme: „Ich kann verstehen, dass es dir schlecht geht!“ Dieses Signal zeigt dem Gegenüber, dass man ihn versteht und die Sorgen ernst nimmt. Aus diesem Verständnis heraus können weitere Verhaltensweisen erfolgen.
  • Bagatellisierung ist nicht hilfreich! Verunsicherte Menschen fühlen sich verunsichert. Mögen die Gründe auch für andere irrational erscheinen, für die Betroffenen sind sie real. Daher gilt auch hier: Zeigen Sie Verständnis.
  • Fragen Sie nach: „Was würde dir jetzt helfen? Kann ich etwas für dich tun?“
  • Sprechen Sie gemeinsam über Ihre Sorgen: Vielleicht haben Sie ähnliche Gedanken und Gefühle oder auch ähnlich Situationen erlebt. Das alte Sprichwort „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ gilt auch hier.
  • Sprechen Sie darüber, was Ihnen selbst geholfen hat: Statt dem Anderen Ratschläge und gut gemeinte Tipps zu geben, sind hier „Ich-Botschaften“ hilfreicher. Z.B. „Als damals meine Mutter an Krebs gestorben ist, habe ich mich durch Sport abgelenkt. Das hat mir gut getan.“
  • Manchen Menschen fällt es schwer, über ihre Sorgen und Nöte zu sprechen. Drängern Sie sie nicht, das zu tun. Zeigen Sie Verständnis und halten Sie eine Tür offen, durch die die andere Person gehen kann, wenn es für sie an der Zeit ist, sich Ihnen anzuvertrauen.
  • Achten Sie auf die Stillen! Gerade Menschen, die von ihrer Persönlichkeit her schon verunsichert sind, reagieren bei stärkerer Belastung oft mit Rückzug und Isolation. Da sie damit aus der Wahrnehmung anderer fallen bzw. von den „Lauten“ im wahrsten Sinne des Wortes „überstimmt“ werden, fallen sie durchs Raster. Überlegen Sie, wer die Stillen in Ihrem Umfeld sind und schenken Sie diesen eine besondere Beachtung.

 

Die Hinweise, die wie für die Gestaltung des „Tag 1“ geben, basieren zum Teil auf diesen Empfehlungen. 

Exkurs Mobbing:

Weiterführende Hilfen

 

 

Exkurs: Ist Corona eine schulische Krise?

In den Medien taucht der Begriff „Corona-Krise“ häufig auf. Ist diese gesellschaftliche Krise auch eine „schulische Krise“?

 

Eine Krise ist definiert als

„…eine vorübergehende, der Stütze bedürfende massive Instabilität eines Individuums oder eines sozialen Systems, ggf. begleitet von einer Handlungslähmung und/oder dem Verlust des Sicherheitsgefühls.“ Kennzeichen von Krisen sind eine große Emotionalität (z.B. Angst, Betroffenheit, Unsicherheit), Unübersichtlichkeit und dem Versagen gewohnter Strategien.

 

Viele dieser Dinge treffen auch auf das System Schule in der Corona-Krise zu. Also haben wir es zumindest teilweise mit einer schulischen Krise zu tun:

Es gibt eine hohe Betroffenheit (es sind alle Schulbeteiligten betroffen, es gibt eine lange Zeit der Unsicherheit (was wird mit mir als Person, meiner Familie, wie geht es mit Schule weiter…) bis hin zu persönlichen Betroffenheit als vulnerable Person sowie ggf. dem Tod von Mitgliedern der Schulgemeinschaft als Folge einer Corona-Erkrankung.

 

Daher bietet die Wiederaufnahme des Schulbetriebes Parallelen zu einem „Tag 1 nach einer schulischen Krise“. Es ist also eine gute Idee, sich wichtige Elemente aus der „Krisenintervention“ zu „borgen“:

 

  • Es gibt an Schulen in NRW tragfähige Krisenstrukturen: Die schulischen Teams für Beratung, Gewaltprävention und Krisenintervention. Diese haben in der Regel für ihre Schulen Konzepte zu verschiedenen Szenarien erarbeitet. Es empfiehlt sich, den Wiedereinstieg in den Schulbetrieb auch mit ihnen zu besprechen und sich so auf mögliche schwierige Situationen vorzubereiten.
  • Krisenintervention erfordert ein prozessorientiertes, flexibles Vorgehen. Auch hier heißt das, sich auf neue Anforderungen flexibel einzustellen, die Situation täglich neu zu bewerten und darauf zu reagieren.
  • Hinsehen und Handeln! Das ist der Untertitel des Notfallordners für Schulen in NRW. Gemeint damit ist „Hinsehen“, dass Sie auf Probleme und möglichen problematischen Veränderungen bei Schüler*innen und Ihren Mitmenschen/ den Menschen in Ihrer Umgebung insgesamt achten, und wenn Sie Probleme wahrnehmen, ins „Handeln“ kommen – also etwas tun, um zu helfen. Diese Leitlinie gilt nicht nur in Krisenzeiten!
  • Fehler beim Kriseneinsatz sind in der Regel nicht zu verhindern! Das hat viele Gründe: Die teilweise mangelnde Information, die Schnelllebigkeit, das kurzfristige Treffen von Entscheidungen, die sich schon nach kürzester Zeit als mangelhaft herausstellen können. Das Wissen um die Fehleranfälligkeit von Kriseninterventionen ist aber auch ein Schutzfaktor, da man auf diese Art sich traut, Entscheidungen zu treffen. Wichtig ist es, im Anschluss diese Fehler zu evaluieren und zu überlegen, was zukünftig anders (und damit besser) gemacht werden kann. Es ist nicht hilfreich, nach „Schuldigen“ zu suchen!
  • (Selbst-)Hilfe für die Helfer darf nicht vergessen werden! Auch und gerade hier sind Lehrerinnen und Lehrer in einer Doppelrolle: Sie sind selbst belastet, müssen sich aber um ihre Schüler*innen kümmern. Daher ist es eine wichtige Führungsverantwortung, hier auf das eigene Team (und sich selbst) zu achten und Maßnahmen zur psychischen Gesundheit zu treffen.
  • Es ist keine Schwäche, Schwäche zuzugeben. Dies gilt für alle Beteiligten. Schwächen/Sorgen/Ängste zu zeigen ist menschlich, macht authentisch und kann zeigen, wie man damit konstruktiv umgehen kann. Damit ist dies auch eine „Krisenintervention durch die Hintertür“. Andererseits wird aber von Lehrkräften Halt und Orientierung erwartet. Insofern ist hier ein Spagat zu vollziehen und dabei authentisch zu bleiben.
  • Ein Blick in den Notfallordner: Der Notfallordner für Schulen in NRW gibt wertvolle Hinweise zum Umgang mit schulischen Krisen. Zur innerschulischen Vorbereitung auf die bevorstehende Wiederaufnahme des „regulären“ Schulbetriebs bietet sich beispielsweise das Kapitel „Umgang mit Tod und Trauer“ an.

 

Aber: Nicht alles ist Krise!

Der menschliche Organismus hat i.d.R. gute Selbstheilungskräfte. Diese werden durch „Alltagsstrukturen“ unterstützt. Daher ist es ein Ziel von Krisenintervention, schnell in den gewohnten Alltag zu kommen, auch wenn die Situation gerade alles andere als alltäglich ist. Das heißt hier, nicht zu sehr auf die krisenhaften Komponenten von „Corona“ zu fokussieren und für alle Beteiligten zu betonen, dass das Leben weitergeht.

Da aber die bisher gewohnten Alltagsstrukturen größtenteils weggebrochen sind, gilt es nun, neue Strukturen zu finden und einzuüben. Hilfreich ist es, die auch in der Krise geltenden Rituale wie z.B. gemeinsames Essen, Spielen usw. zu festigen.